„Sahelistan“ verhindern
Burkina-/Sahel-Initiative schlägt außerordentliches Maßnahmenpaket für ein Schlüsselland der Region vor
Im Schatten der Corona-Krise spielen sich in der Sahel-Region Afrikas dramatische Entwicklungen ab, die von der breiten Öffentlichkeit in Europa weitgehend unbemerkt bleiben. Seit 2019 hat sich der jihadistische Terror in einem Maße ausgebreitet, dass ein Staatszusammenbruch in Mali und Burkina Faso zu einem realen Szenario geworden ist (realistic worst case). Der Stabilität von Burkina kommt dabei eine besondere Rolle zu. Wie in Mali ist das staatliche Gewaltmonopol in Burkina in weiten Landesteilen fragil oder außer Kraft gesetzt und durch eine Vielzahl gewaltbereiter Gruppierungen ersetzt worden. Im Gefolge der wirtschaftlichen Notlage wachsen ethnische und religiöse Spannungen. Tausende öffentliche Einrichtungen im Norden und Osten des Landes waren schon vor der Corona-Krise geschlossen; bis zu einer Million Einwohner sind Binnenflüchtlinge und noch mehr sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. In der Region ist Burkina Faso aber bislang der Sperrriegel, der das Vordringen des islamistischen Terrors in die Küstenländer im Golf von Guinea verhindert. Die existenzbedrohende Krise wird nun durch das Corona-Virus in einer Weise verschärft, die das Gemeinwesen endgültig zu Fall bringen kann. Die ganze Region droht damit zu einem unregierbaren „Sahelistan“ zu werden, mit schwersten Konsequenzen für die ganze Welt.
Kann die Abwärtsspirale in Burkina Faso allein mit den mobilisierten Mitteln der konventionellen zivil-militärischen Zusammenarbeit gestoppt werden? Nein. Die aktuellen militärischen Einsatzdoktrinen (z.B. G5-Sahel, MINUSMA oder die französische Barkhane-Initiative) sind in mehrfacher Hinsicht unzureichend oder sogar konfliktverschärfend. Die Aufstockung der konventionellen Entwicklungshilfe ist ebenso wenig eine Lösung. Sie hat in den zurückliegenden Jahrzehnten eine sehr schlechte Bilanz in der Schaffung nachhaltiger Kapazitäten vorzuweisen. Es ist jenseits einer realistischen Vorstellung, wie gewöhnliche Projekt- und Nothilfe den Wiederaufbau ganzer Systeme der öffentlichen Daseinsvorsorge und umfassende Arbeitsbeschaffungsprogramme für Alterskohorten von Jugendlichen tragen kann, die dem verlockenden Angebot der jihadistischen Gruppen entzogen werden sollen. Das übergreifende Problem für die Entwicklungshilfe ist offenkundig: trotz Einzel- und Teilerfolgen hilft sie wenig zu entwickeln, das an die Schwelle eines selbsttragenden Wachstums heranführen könnte. Mehr von (fast) demselben folgt keiner überzeugenden politischen Logik.
Die von der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland (VAD e.V. ) getragene Initiative plädiert für ein abgestimmtes, außerordentliches Engagement der Bundesrepublik, das finanziell, personell und politisch so umfassende Hilfe leistet, dass das Schlüsselland Burkina Faso den erdrückenden Herausforderungen tatsächlich standhalten kann. Das von Prof. Helmut Asche in Abstimmung mit zahlreichen Regionalexperten verfasste Konzeptpapier umreißt ein umfassendes Maßnahmenpaket, um an der Seite nationaler und internationaler Akteure eine tragfähige und abgesicherte Gesamtlösung für die Existenzkrise des Landes zu finden. Ein solcher multidimensionaler Einsatz erfordert auch auf deutscher Seite eine völlig neue Form der operativen Koordination.
Die konkreten Ziele dieser Initiative sind dabei zweifach:
- Einmal will sie im vertieften Austausch von Wissenschaft und Politik die Grenze der Analyse hinausschieben („pushing the analytical frontier“). Offizielle deutsche (und andere) Problembeschreibungen der Lage im Sahel sind drastisch, aber sie fallen entscheidend hinter den Konsens der sozialwissenschaftlichen Analysen zurück bzw. differenzieren nicht zwischen Szenarien. Das profunde Wissen von ExpertInnen aus den Sahelländern selbst wird, obwohl nachlesbar, bislang nur teilweise ausgewertet.
- Zweitens soll die Initiative Beratungsleistung zu der Frage erbringen, wie die offenkundige Lücke zwischen Situationsanalyse und politischem Handeln geschlossen werden kann („bridging the policy gap”). Dies betrifft sowohl die militärische Komponente als auch die zivile Komponente des Capacity (Re-)Building und der internationalen Entwicklungskooperation.
Vor allem aber soll durch die Initiative ein wesentlicher Beitrag zum Zuschnitt des Gesamtpakets erbracht werden, das den Anspruch verfolgt, einzelne Schlüsselländer und darüber hinaus eine ganze Region zu stabilisieren.
Voraussetzung für eine fundierte Problemsicht und die Ausarbeitung von strategischen Handlungsalternativen ist die intensive Einbeziehung (a) der Expertise der Wissenschaften, die sich mit Afrika befassen, sowie (b) der zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Burkina Faso und den Anrainerstaaten durch die Bundesregierung. Von einer wenigstens in Grundzügen ausreichenden wissenschaftlichen Politikberatung der Bundesregierung zur Krise in den Sahelländern ist den Trägern dieser Initiative bisher nichts bekannt.
In einem ersten Schritt werden die Initiatoren den Dialog mit verschiedenen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen und Entscheidungsträgern in Westafrika und Europa suchen, um mit ihnen Handlungsalternativen zu entwickeln, die die Expertise der mit Afrika befassten Wissenschaften aktiv nutzen.
Ein erstes öffentliches Podium könnte auf der kommenden VAD-Konferenz „Africa Challenges“ vom 22. – 25.9. 20 in Frankfurt am Main stattfinden.
Informationen: Konzeptpapier
Kontakt: asche@uni-mainz.de, hans.hahn@em.uni-frankfurt.de
Die Vereinigung von Afrikawissenschaften in Deutschland (VAD e.V.) ist ein Zusammenschluss von Afrikawissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen. 1969 gegründet, sieht die VAD ihre Aufgabe in der Vernetzung der Afrikawissenschaften im deutschsprachigen Raum. Die Vereinigung unterstützt die afrikabezogene Forschung und Lehre an Universitäten und anderen Institutionen. Sie fördert den interdisziplinären und internationalen Austausch sowie den Ausbau und die Aktualisierung der diesbezüglichen Forschungsinfrastruktur.
Im Zweijahresrhythmus veranstaltet die Vereinigung internationale Fachtagungen an zu Afrika arbeitenden Instituten in Deutschland. Derzeit hat die Goethe-Universität den Vorsitz inne.
Prof. Dr. Helmut Asche ist Hochschullehrer im Ruhestand. Er lehrte an den Universitäten Leipzig und Mainz.
HerausgeberIn: Der Vorsitzende der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland (VAD e.V.), Prof. Dr. Hans Peter Hahn, Institut für Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt, Tel. +49 69 798 32072, Email: hans.hahn@em.uni-frankfurt.de